Im Schatten der Brüder Metzendorf

Villa in der Kalkgasse
Villa in der Kalkgasse

Stadtgeschichte: Plannachlass der Architekten Ludwig und Heinrich Keßler sowie Oswald Sudheimer wurde dem Archiv übergeben

Die drei Architekten Ludwig und Heinrich Keßler und ihr Nachfolger Oswald Sudheimer dagegen sind im Vergleich zu den berühmten Geschwistern Metzendorf fast in Vergessenheit geraten. Dabei haben sie gerade in Bensheim, insbesondere im Bereich der Liebfrauenschule und der Klosteranlagen zwischen Obergasse, Klostergasse und Kapuzinergässchen, ihre Spuren hinterlassen – auch wenn diese nicht so groß und bedeutend wie jene der Metzendorfs sind.

An der LFS Akzente gesetzt

Manfred Berg, Leiter des Stadtarchivs, rief in einem Vortrag des Museumsvereins das Architekten-Trio zurück ins Gedächtnis der Zuhörer, streifte deren Biografien und machte die Besucher mit den wichtigsten Arbeiten und einzelnen Objekten in Heppenheim und Darmstadt bekannt. Weil alle drei vor allem rund um die Liebfrauenschule städtebauliche Akzente gesetzt haben, war es nur folgerichtig, dorthin auch zu der Veranstaltung einzuladen – die im Übrigen sehr gut besucht war.

Romy Wolf, Tochter von Oswald Sudheimer, gab nach der Begrüßung durch Dr. Norbert Hartmann vom Museumsverein eine kurze Einleitung. Sie hat dem städtischen Archiv den Plannachlass von Sudheimer als Dauerleihgabe überlassen. Es handelt sich um 250 Mappen mit Skizzen, Zeichnungen und Plänen, die auch das Werk der Bürovorgänger Ludwig Keßler und dessen Sohn Heinrich umfassen und somit das gesamte 20. Jahrhundert mit einschließen.

Ludwig Keßler (1875 – 1943), in dessen ersten Entwürfen der Einfluss der Landhausarchitektur in der Metzendorf-Tradition durchaus zu erkennen ist, hat sich nach dem Bau zweier Villenprojekte in der Darmstädter Straße 79 und seines eigenen Wohnhauses in der Moltkestraße 6, dem Umbau eines Gebäudes oberhalb der Nibelungenstraße, Kalkgasse 7, gewidmet. Nach dem Erwerb dieser Immobilie stockte Kessler das eingeschossige Wohnhaus mit Veranda um zwei Geschosse auf und setzte ein gestaffeltes Türmchen mit vierseitigem Spitzhelm obenauf.

Überdachte Brücke 1907 gebaut

Im Jahr 1906 erwarb das Institut der Englischen Fräulein St. Mariä die umgebaute Villa, die heute den Ordensschwestern als Alterswohnheim dient. 1907 wurde die Villa durch eine überdachte Brücke sowie einer Verbindungshalle mit dem Hauptkomplex in der Obergasse verbunden. Auch hier hatte Ludwig Keßler seine Hände im Spiel – ebenso 1911 und 1912/13, als das mittlerweile vermauerte Neutor an der Nibelungenstraße, ein Turm und ein westlicher Anbau mit Turn- und Festsaal entstanden.

In der Nachbarstadt Heppenheim plante Keßler 1903 den Umbau des ehemaligen „Gesellenhauses“, beziehungsweise des „Katholischen Vereinshauses“, dem heutigen Restaurant „Gossini“. Seine Handschrift tragen auch die Anwesen Ernst-Ludwig-Straße 12 in Bensheim und zwei Doppelwohnhäuser für die Gemeinnützige Baugenossenschaft in der Wormser Straße 21/22 und Frankensteinstraße 3/5 aus dem Jahr 1906.

Sohn Heinrich (1902 – 1961) trat nach dem Zweiten Weltkrieg in die Fußstapfen seines Vaters. Sein Hauptaugenmerk als Architekt galt in den 50er Jahren vor allem der Planung zahlreicher Neu- und Umbauten von Privat- und Geschäftshäusern. Neben vielen anderen waren dies der Milchverkaufsraum Christian Benner in der Kirchbergstraße, das Kaufhaus Müller in der Hauptstraße 17/19, der Praxisumbau Dr. Tebrügge in der Promenadenstraße 18, sowie Neubauten der Kapelle mit Benefiziatenhaus in der Nussallee in Schönberg, des Omnibusbetriebs Georg Samstag in der Hermannstraße 30 und der AOK in der Körnerstraße. Der Plan für den Wiederaufbau der Brauerei Grohe in Darmstadt stammt ebenfalls von Keßler.

Plante Keßler das Stadtpark-Café?

Nicht hundertprozentig sicher ist hingegen, ob das 1971 in die Luft geflogene Stadtpark-Café am Moller-Pavillon tatsächlich nach einer Planung von Heinrich Keßler entstanden ist. Exakte Unterlagen dazu fehlen. Fest steht aber, dass Keßler schon 1947 einen entsprechenden Planentwurf für den 1949 entstandenen Pavillonanbau vorgelegt hat. Gut drei Jahre nach der Gasexplosion im Jahr 1974 wurden die verbliebenen Reste des Stadtcafé-Nordflügels endgültig abgerissen.

Umfangreiches Werk

Nach dem Tod von Heinrich Keßler übernahm Oswald Sudheimer (1929 – 2014) im Jahr 1961 das Architekturbüro. Aus seinem umfangreichen Werk pickte Archivar Manfred Berg nur einige der Planungen heraus. So der Neubau des Verwaltungsgebäudes der GGEW, der Umbau des ehemaligen Konvikts zum Rathaus, der Neubau des AOK-Verwaltungsgebäudes und die Komplettsanierung des Altbaus.

Sudheimer fühlte sich ebenfalls der Tradition seiner Vorgänger verpflichtet und wirkte jahrzehntelang rund um die Liebfrauenschule. Aus 1986 datieren die Pläne für das Schwesternwohnheim als Anbau an die ehemalige Keßler-Villa. Im Oktober des gleichen Jahres wurde von Sudheimer der Bauantrag für den Neubau des Maria-Ward-Hauses eingereicht und ein halbes Jahr später mit den Bauarbeiten begonnen. Einweihung des neuen Schulgebäudes war am 8. September 1989. Verantwortlich zeichnete er auch für den Umbau des Klosters zum Caritas-Zentrum Franziskushaus, für den er mehrere Vorentwürfe zeichnete.

Im Anschluss an den Vortrag von Berg entwickelte sich eine rege Diskussion. Unter anderem wurde die Frage gestellt, ob sich eine dauerhafte Archivierung besagter Unterlagen lohne und ob manche Bauten „ästhetisch eher unbefriedigend“ seien. „Das bleibt künftigen Nutzern beziehungsweise Bau- oder Kunsthistorikern vorbehalten“, lautete Bergs diplomatische Antwort.

Ein Teil der Beiträge über die Architekten Keßler und Sudheimer erscheinen in den nächsten Mitteilungen des Museumsvereins Bensheim Anfang Dezember.

© Bergsträßer Anzeiger, Dienstag, 22.11.2016