Die wechselvolle Geschichte Rheinhessens

 Blick auf Nierstein: Der Weinbau spielt in Rheinhessen, dem größten deutschen Weinbaugebiet, eine große Rolle. © dpa
Blick auf Nierstein © dpa

Museumsverein Bensheim: Zum 200-jährigen Jubiläum der Nachbarregion blickte Dr. Dieter Emrich zurück auf die Entwicklung der Provinz

Bensheim. Noch heute bezeichnet Rheinhessen eine Region links des Rheins – etwa zwischen Mainz, Worms, Bingen und Alzey gelegen. Die etwa 600.000 Menschen, die hier leben, verstehen ihre Heimat als zusammengewachsene Einheit.

Geschaffen wurde diese Einheit jedoch erst vor 200 Jahren – aus letztlich politisch-verwaltungstechnischen Gründen. Die Geburt der Provinz Rheinhessen als Teil des Großherzogtums Hessen ist in diesem Jahr Anlass für ein mehr als 700 Veranstaltungen umfassendes Programm und eine Reihe von Aktionen, die für den rheinhessischen Tourismus und den regionalen Weinbau werben – immerhin ist Rheinhessen das größte deutsche Weinbaugebiet.

Wirtschaftlicher Aufschwung

Dr. Dieter Emrich hat sich mit der Geschichte der Provinz Rheinhessen ausführlich beschäftigt und seine Ergebnisse in einem Beitrag für den im vergangenen Jahr erschienenen Band 48 der Geschichtsblätter des Kreises Bergstraße veröffentlicht. Am Mittwoch fasste er die Grundzüge der Entwicklung der Provinz Rheinhessen und deren Zuordnung zum Großherzogtum Hessen auf Einladung des Museumsvereins im gut besetzten Haus am Markt in Bensheim zusammen.

Eine wichtige Grundlage für die Entstehung der Provinz war die Schaffung des französischen Départements Donnersberg (benannt nach dem Donnersberg, der höchsten Erhebung im Nordpfälzer Bergland) im Rahmen der Besetzung des linken Rheinufers durch napoleonische Truppen seit 1792. Mit der Übernahme der Verfassung von 1802 wurde das Gebiet dann den innerfranzösischen Départements gleichgestellt und von Mainz aus verwaltet. Damit ging ein wirtschaftlicher Aufschwung einher. Denn nun gehörte die Region zu dem großen französischen Wirtschaftsraum ohne Zollschranken, es wurden Straßen gebaut und es galt das französische Rechtssystem – der zivilrechtliche „Code Napoléon“ sollte bis in das Jahr 1900 hinein in Rheinhessen in Kraft bleiben.

Nach dem Ende des Zweiten Koalitionskriegs und dem Frieden von Lunéville kam es durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 zu einer Neuordnung der Staaten in Europa. Im Rheinbund schlossen sich auf Initiative Napoleons deutsche Staaten zusammen, die damit aus dem Verband des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation austraten. Zu den ersten Mitgliedern des stetig wachsenden Bündnisses gehörten Baden, Bayern und Württemberg – und bald auch Hessen-Darmstadt.

Die Rheinbund-Staaten waren zum militärischen Dienst für Frankreich verpflichtet – eine für viele junge Männer verhängnisvolle Entwicklung, die Tausende mit dem Leben bezahlten. Nach den napoleonischen Niederlagen befand sich die Region in einer trostlosen Lage und in unklaren Herrschaftsverhältnissen, die zweieinhalb Jahre andauerten. Die Alliierten bemühten sich um eine Neuordnung Europas. Auf dem Wiener Kongress sollte im gegenseitigen Einverständnis ein dauerhafter Friede hergestellt werden.

In den Verhandlungen bewiesen die Beteiligten unterschiedliches Geschick. Der hessische Bevollmächtigte Johann Freiherr von Türckheim spielte als Vertreter eines mindermächtigen Staates eine bescheidene Rolle. Das Ergebnis: Gegen seinen Willen sollte der Großherzog zugunsten von Preußen auf die Rückgabe der ehemaligen hessischen Provinz Herzogtum Westfalen verzichten, eine Region, der er zu Wohlstand verholfen hatte und die Einkünfte gebracht hätte.

Waterloo bedeutete das Aus

Der Großherzog protestierte. Er glaubte auch, das kurze Wiedererstarken Napoleons im Frühjahr 1815 werde diesem zum Sieg verhelfen. Damit werde die Region des Linken Rheins wieder an Frankreich fallen und für eine Entschädigung nicht mehr in Frage kommen. Die letzte verlorene Schlacht Napoleons bei Waterloo machte diese Hoffnung zunichte. Am Ende verzichtete Ludewig I. auf Westfalen. Jedoch blieben die hessen-darmstädtischen Stammlande weitgehend erhalten. Er erhielt dazu die viel kleinere und damals unattraktive Region zwischen Bingen, Mainz und Worms.

Im Juli 1816 fand die symbolische Übergabe der Provinz Rheinhessen an den Großherzog statt. Klug verzichtete Ludewig I. auf die Wiedereinführung der feudalen Rechte – das Gebiet wurde schließlich von selbstbewussten und von den französischen republikanischen Idealen beeinflussten Menschen bewohnt. Am Ende war es für den Großherzog doch kein schlechtes Geschäft: Die verbesserte Infrastruktur machte sich in einer erstarkenden Wirtschaft bemerkbar.

Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Besatzungszonen trennte das zur französischen Zone gehörige Rheinhessen vom amerikanisch verwalteten restlichen Gebiet des ehemaligen Volksstaats ab. Als Regierungsbezirk Rheinhessen wurde es später Teil des neuen Landes Rheinland-Pfalz. eba

© Bergsträßer Anzeiger, Freitag, 15.04.2016