Was genau ist ein Narr? Und was hat es mit dem oft behaupteten Unterschied zwischen Karneval und Fastnacht auf sich?
Diesen und vielen weiteren Fragen zu Kultur und Geschichte des närrischen Treibens ging ein Vortrag im Pfarrsaal von St. Georg am Mittwochabend nach. Mit Peter Krawietz hatte der Museumsverein einen echten Kenner der Materie eingeladen: Der Referent ist nicht nur Präsidiumsmitglied im Bund Deutscher Karneval und ehemaliger Kulturdezernent von Mainz, sondern er steht auch seit vielen Jahren selbst in der Bütt. Stefan Hebenstreit begrüßte den Gast aus Mainz-Gonsenheim im Namen des Vorstands und führte kurz in das Thema ein.
Peter Krawietz ließ die politisch-literarische Seite des Karnevals lebendig werden und stellte seine Bedeutung als Kulturerbe heraus. Die Unterscheidung von Karneval und Fastnacht erklärte er nach einem Blick auf die Etymologie als Mumpitz. Beide Begriffe leiteten sich von dem christlichen Fasten und dem Verzicht auf Fleisch her. Der Begriff Fastnacht sei in Deutschland um 1900 in allen Regionen gebräuchlich gewesen und dass auch in Mainz die Fastnacht genauso gut als Karneval bezeichnet könne, belege schon allein der Name „Mainzer Carneval-Verein 1838“.
Der Narr sei im Mittelalter ein Mensch außerhalb der Gesellschaft gewesen, sei es wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen. Davon abgeleitet habe sich der Schalknarr, der diese „natürlichen Narren“ nachgeäfft habe, um seine Mitmenschen zum Lachen zu bringen. In der frühen Neuzeit sei der Narr jemand geworden, der gegen Bezahlung den Menschen lachend den Spiegel vorhält und dabei die Wahrheit sagt: Dem Volk als Hanswurst, dem Adel als Hofnarr. Auch die Hofnarren seien Menschen außerhalb der Norm gewesen, häufig hochintelligente Kleinwüchsige, für deren Narrenfreiheit jedoch eine Regel gegolten habe: Die Wahrheit müsse auf schöne, nicht verletzende Weise gesagt werden. Diese Forderung sei letztlich auch noch in der heutigen Fastnacht gültig und spiele in Mainz eine größere Rolle als in Köln – ein Hinweis, auf den der Referent im Laufe des Vortrags mehrfach zurückkam, um die besondere politisch-literarische Komponente der Mainzer Fastnacht zu betonen.
Nach etwa dem Jahr 1800 habe die Fastnacht viele der heute noch wirksamen Prägungen erhalten – als Reaktion auf die französische Besetzung der napoleonischen Zeit und die nationalen Entwicklungen nach dem Wiener Kongress sowie auf die Karlsbader Beschlüsse des Jahres 1819 gegen die Meinungsfreiheit. Die Herausbildung der organisierten Fastnacht mit Narrenkomitees und Fastnachtsordnungen führte der Referent auf das Jahr 1823 zurück, als im evangelisch-preußisch besetzten Köln einerseits das feine Bürgertum ein Bedürfnis nach Kontrolle des närrischen katholischen Treibens entwickelt, zugleich aber auch die wirtschaftliche Bedeutung erkannt habe, die eine Fastnacht mit großen Sitzungen und publikumswirksamen Umzügen durch den damit einhergehenden Konsum und viele Übernachtungen erlangte. Schon 1824 habe es auch in Bonn ein Festkomitee gegeben, 1833 sei dann in Bingen eine Fastnachtsordnung erlassen und 1837 schließlich in Mainz die „Ranzengarde“ gegründet worden – als Parodie auf die preußischen Langen Kerls. Statt der Körpergröße galt dabei der Leibesumfang als Aufnahmekriterium.
Im 19. Jahrhundert sei die Fastnacht wesentlich intellektueller gefeiert worden, mit ausgefeilten Gedichten, Liedern und Fabeln, in denen die Kritik an der Obrigkeit versteckt war. Heute werde das Programm der großen Sitzungen durch die Fernsehübertragungen beeinflusst, häufig, so berichtete Peter Krawietz aus eigener Erfahrung, bäten die Sender um Textänderungen, um das Publikum nicht zu überfordern.
Auch die Fastnacht sei der Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus nicht entgangen. Dass es aber doch einige mutige Karnevalisten wie Seppel Glückert oder Martin Mundo gab, die trotz Gefährdung in der Bütt kein Blatt vor den Mund nahmen, belegte der Referent mit beeindruckenden Textproben. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe man in Mainz mit dem Motto „Lachen unter Tränen“ die Fastnachtstradition schnell wieder aufgenommen und gezeigt, dass durchaus ein Schuss Melancholie dazu gehören könne.
Auch die Fastnacht sei der Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus nicht entgangen. Dass es aber doch einige mutige Karnevalisten wie Seppel Glückert oder Martin Mundo gab, die trotz Gefährdung in der Bütt kein Blatt vor den Mund nahmen, belegte der Referent mit beeindruckenden Textproben. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe man in Mainz mit dem Motto „Lachen unter Tränen“ die Fastnachtstradition schnell wieder aufgenommen und gezeigt, dass durchaus ein Schuss Melancholie dazu gehören könne.
Mit einem Ausschnitt aus der eigenen aktuellen Büttenrede, in dem er das Verhalten des Magazins „Der Spiegel“ im Fall Relotius als gefährliche und arrogante Eitelkeit entlarvt, gab Peter Krawietz am Ende seines Vortrags eine Kostprobe der politisch-literarischen Fastnachtstradition.